Akademisierung in der Pflege

So kann Integration von akademisch ausgebildeten Pflegefachpersonen in der direkten Pflege gelingen

von Elvira Schneider und Andrea Roth

Rasante Veränderungen bergen große Herausforderungen für das deutsche Gesundheitswesen. Zwingend erforderlich ist eine Neuausrichtung im Gesundheitswesen allgemein und speziell für die professionelle Pflege. Neue Strukturen, neue Rollenentwicklungen und Handlungsfelder werden notwendig sein, um diesen gravierenden Veränderungen gerecht zu werden. Ein Baustein des Maßnahmenpakets, um diesen Herausforderungen gerecht zu werden, ist die verstärkte Akademisierung in der Pflege. Die Möglichkeiten der Akademisierung in der Pflege erstrecken sich auf das Pflegemanagement, die Pflegepädagogik sowie die Pflegewissenschaft. In letzter Zeit ist eine Fokussierung auf die Fachkarriere in der direkten Pflege erkennbar. Die internationale Praxis zeigt, dass durch den Einsatz von akademisch ausgebildeten Pflegefachpersonen ein positiver Outcome auf Liegedauern, Drehtüreneffekt oder Mortalitätsrate erzielt werden kann. Daher ist es umso wichtiger, das Berufsbild und das Aufgabengebiet akademischer Pflege mit einem primären und sekundären Pflegestudium zu definieren und in verschiedenen Bereichen des Gesundheitswesens zu etablieren.

Keywords: Strategie, Pflegemanagement, 
Akademisierung

Fachkräftemangel und die demografische Entwicklung der Bevölkerung sind bundesweit auftretende Phänomene und machen auch vor dem Gesundheitswesen keinen Halt. Darüber hinaus häufen sich die Anforderungen in der direkten professionellen Pflege durch Multimorbidität und High Risk Pflegeempfängerinnen und -empfänger. Es wird prognostiziert, dass mehr als 65 Prozent der Jobs, in denen Generation Z arbeiten wird, heute noch nicht existieren. Der bereits aktuell hart umkämpfte Arbeitsmarkt wird sich verändern, das Gesundheitswesen wird verstärkt in Konkurrenz mit anderen Branchen treten müssen. In den kommenden Jahren wird es Realität sein, dass ein zunehmender Skill-Grade-Mix notwendig ist, um die Anforderungen an Pflegeleistungen abzudecken und dem Wandel auf dem Arbeitsmarkt erfolgreich zu begegnen. Akademisierung und der Einsatz von akademischen Pflegefachpersonen in der direkten pflegerischen Versorgung können ein Baustein zum Umgang mit diesen Herausforderungen sein.

Die Akademisierung und Professionalisierung der Gesundheitsfachberufe ist in den angelsächsischen und skandinavischen Ländern schon fast zu 60–70 Prozent umgesetzt. Im Vergleich zu diesen Nationen zeigt Deutschland große Defizite und Rückstände auf, denn nur etwa ein Prozent aller Pflegefachpersonen sind hochschulisch ausgebildet. An Hochschulen und Universitäten in Deutschland sind zahlreiche Pflegestudiengänge etabliert. Dazu gehören Studiengänge auf Bachelor- und Masterniveau im Bereich Pflegemanagement, Pflegepädagogik sowie Pflegewissenschaft sowohl als primäres als auch als sekundäres, in Vollzeit oder berufsbegleitendes Pflegestudium.

Der Einsatz akademisierter Pflegekräfte in der direkten Patientenversorgung wird in letzter Zeit stärker fokussiert und kann durch die Festlegung definierter Aufgaben für diese Qualifikation zu einer Win-Win-Situation sowohl für den Arbeitgeber als auch für die Mitarbeitenden und vor allem für Patientinnen und Patienten führen. Allerdings sind strukturierte Konzepte zum Einsatz akademisierter Pflegefachpersonen in der direkten Patientenversorgung mit Stellen- und Tätigkeitsbeschreibungen bisher rar und sehr heterogen. An diesem Punkt ist das Management gefordert, Konzepte zu etablieren und eine breite Akademisierungsoffensive mit dem Schwerpunkt „Fachkarriere in der direkten Pflege“ zu starten. Dies ist eine große Herausforderung aber auch eine Chance und bietet Potenzial für die Weiterentwicklung der Akademisierung in Deutschland.

Nicht aus den Augen verlieren sollte man allerdings auch die Bereiche des Pflegemanagements sowie der Pflegepädagogik, da sich durch den Austritt der Babyboomer die Nachbesetzungen dieser Positionen zunehmend schwierig gestalten. Zu beachten bei der Akademisierung in der Pflege ist, dass der Einsatz von akademisierten Pflegenden sowohl einen Veränderungsprozess unter den Mitarbeitenden der Pflege, dem mittleren Pflegemanagement als auch bei allen anderen in der Patientenversorgung beschäftigten Berufsgruppen darstellt. Es gilt diesen Veränderungsprozess strukturiert, empathisch und etappenweise anzugehen.

Einsatzmöglichkeiten von Absolventen mit einer hochschulischen Erstausbildung

Häufig werden Absolventen mit einer hochschulischen Erstausbildung in der Patientenversorgung mit denselben Aufgaben betraut wie Pflegefachkräfte mit einer dreijährigen Ausbildung an einer Pflegefachschule. Die zusätzlich erworbenen Kompetenzen im Rahmen der hochschulischen Ausbildung dieser Zielgruppe werden dadurch nicht adäquat genutzt. Zu den Kompetenzen hochschulisch ausgebildeter Pflegefachpersonen gehören beispielsweise Fähigkeiten zur Umsetzung einer evidenzbasierten Pflege, zur Gestaltung und Steuerung hochkomplexer Pflegeprozesse, zur Übertragung von Lösungen und Technologien gestützt durch wissenschaftliche Erkenntnisse neuesten Stands in die Praxis oder die Beteiligung an der Erstellung von Qualitätsmanagementkonzepten, Standards und Leitlinien.

Konkrete Einsatzmöglichkeiten von Absolventen mit einer hochschulischen Erstausbildung im Krankenhaus können neben der direkten Patientenversorgung folgende Aufgaben sein:

  • Steuerung der Prozesse bei komplexen Pflegesituationen und Krankheitsbildern
  • Sicherung der Pflegequalität durch regelmäßige Analysen und Monitoring anhand von Kennzahlen wie beispielsweise Inzidenz von Dekubitus oder Stürzen
  • Implementierung und regelmäßige Aktualisierung von Leitlinien und Standards anhand wissenschaftlich gesicherter Studien
  • Unterstützung beim Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Praxis
  • Patientenedukation
  • Kollegiale Beratung

Da es bereits viele internationale Studien gibt, die aussagen, dass mit der Akademisierung in der Pflege eine qualitative Verbesserung der Patientenversorgung zu erwarten ist, beziehungsweise eintritt, ist wenig verständlich, dass hier in Deutschland eine zielführende und sinnvolle Berufseinmündung von Absolventen mit einer hochschulischen Erstausbildung so schleppend erfolgt. Die Qualifikation durch die hochschulische Erstausbildung verbindet Fachwissen, wissenschaftliches Arbeiten und nach und nach praktische Erfahrung in idealer Weise und es ist eine Aufgabe des Managements diese Qualifikation in die bestehenden Strukturen zu integrieren und diese anzupassen.

Unbekanntes Terrain- Advanced Practice Nurse

Ein neues Berufsbild in der Pflege können auch die sogenannten Advanced Practice Nurse (APN) sein.

Bedeutung von “Advanced Practice Nurse”:

Advanced (engl. fortgeschritten) Nursing (pflegerische) Pracitce (Praxis) steht für eine erweiterete pflegerische Praxis durch den Einsatz von Pflegeexpertinnen und -experten. International werden ANP auch Nurse Practitioner oder Clinical Nurse Specialist genannt.

APNs sind praxiserfahrene und in der direkten klinischen Pflege spezialisierte Experten, die einen pflegebezogenen Master-Abschluss oder eine Promotion vorweisen und überwiegend mit patientennahen Tätigkeiten in konkreten Abteilungen beschäftigt sind, aber auch koordinierende fachliche Aufgaben durchführen und in abteilungsübergreifende Prozesse eingebunden sind. Ergänzend dazu sind APNs an der Konzeption und Entwicklung von zahlreichen evidenzbasierten Fragen in der klinischen Pflege gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen aus den Teams bestehend aus unterschiedlichen Qualifikationen, interdisziplinär beschäftigt.

Der Wirkungsraum und Rahmen definiert sich als erweiterte und vertiefte Pflegepraxis. Zentrale Merkmale und Aufgabenfelder der APN sind:

  • Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen und evidenzbasierten Versorgung sowie Betreuung von Patientinnen und Patienten
  • direkte Mitarbeit in der klinischen Praxis: die strukturierte Einschätzung und Betreuung von Patienten
  • Information, Beratung, Unterstützung und Begleitung von Patienten und ihrer Angehörigen in der direkten klinischen Versorgung
  • Einbeziehung von aktuellen pflegewissenschaftlichen Erkenntnissen beim Pflegebedarf und Pflegeprozess auf der Station
  • Implementierung von Leitlinien und Umsetzung der Expertenstandards
  • Teilnahme in Fach- und Arbeitsgruppen zu spezifischen Pflegethemen, Erarbeitung von Fachkonzepten und deren Umsetzung im Bereich
  • Entwicklung von relevanten wissenschaftlichen Fragestellungen, Literaturrecherchen und Transfer themenspezifischer Versorgungskonzepte,
  • kontinuierlichen Evaluation der pflegerischen Handlungen
  • Enge intraprofessionelle Zusammenarbeit und Kooperation mit allen am Behandlungsprozess beteiligten Berufsgruppen

Mögliche Einsatzorte für APNs können sowohl fach- als auch schwerpunktspezifisch erfolgen, beispielsweise in der Akutpflege allgemein, in der psychiatrischen, onkologischen, geriatrischen oder pädiatrischen Pflege sowie im Bereich der Notfallmedizin und Anästhesiologie und Intensivpflege. Spezielle Themen, mit denen sich APNs beschäftigen können, sind Diabetes-, Ernährungs- oder Schmerzmanagement sowie Wund- und Stomaversorgung.

Um diese erweiterte klinische Praxis nachhaltig um zahlreiche Interventionsangebote in Zukunft sicherzustellen und sie einer größeren Pflegeempfänger-Gruppe zugänglich zu machen, ist es zu empfehlen, ein APN-Team mit unterschiedlichen Spezialisierungen aufzubauen. Diese neuen Qualifikationen und Kompetenzen in den Praxisalltag zu etablieren, wird die Professionalisierung der Pflege fördern, die Qualität in der Pflege weiterentwickeln und eine evidenzbasierte Pflegepraxis etablieren. Dies führt nicht nur zu einer Optimierung der qualitativen Patientenversorgung, sondern auch zu einer gesteigerten Patientensicherheit.

Erfolgreiche Implementierung von akademisch ausgebildeten Pflegefachpersonen

Der Schlüssel zu einer erfolgreichen Implementierung akademisch ausgebildeter Pflegefachpersonen in der direkten Pflege liegt zweifellos in der Einbindung aller Mitarbeitenden mit den unterschiedlichen Qualifikationen in diesen Prozess, der regelmäßigen Kommunikation zum aktuellen Sachstand sowie dem direkten Austausch des Managements mit den Mitarbeitenden vor Ort, um Ängsten zu begegnen und Unsicherheiten abzubauen. Dabei müssen Erwartungshaltungen transparent kommuniziert und abgestimmt werden. Wichtig sind vor allem das Vorhandensein oder gegebenenfalls die Erstellung umfassender Konzepte und anschließend weitreichende Informationen dazu, nicht nur im Bereich der Pflege, sondern für alle Mitarbeitenden des Unternehmens von Seiten der Geschäftsführung, des Pflegemanagements und der Pflegewissenschaft.

Neben der Einbindung in die Unternehmensstruktur gehört auch eine den erweiterten Kompetenzen entsprechende Vergütung für akademisch ausgebildete Pflegefachpersonen zu einer erfolgreichen Implementierung. Außerdem steigert sie die Attraktivität des Unternehmens für Mitarbeitende mit einer akademischen Ausbildung und erhöht dadurch die Chancen zur Mitarbeiterbindung und Mitarbeitergewinnung.

Fazit und Ausblick

Politik, Berufsverbände, der Deutsche Pflegerat, die Pflegewissenschaft, Pflegepraxis und Pflegeempfänger plädieren für eine Weiterentwicklung in der Akademisierung der Pflege. Der Blick auf andere Länder weltweit ist vielversprechend, denn Pflegebedarfe, Pflegebedürfnisse und Probleme konnten früher erkannt und ein besserer Outcome kann erzielt werden. Hinzu kommt, dass akademisch ausgebildete Pflegefachpersonen und speziell APNs gezielt präventive Maßnahmen und Phänomene evidenzbasiert bearbeiten, mit dem Ziel bestimmte Themenfelder wie Sturzvermeidung, Delirfrüherkennung oder Schmerzerfassung zu fokussieren, um eine verkürzte Liegezeit, reduzierte Mortalitätsraten oder den Drehtüren-Effekt zu minimieren.

Ebenso erfolgt durch die Implementierung eines Skill-Grade-Mix in Teams eine Erhöhung der Arbeitszufriedenheit und Kompetenzsteigerung. Es ist eine Chance die Pflegepraxis aktiv und nachhaltig mitzugestalten. Um das ganze Potential der Berufsgruppe Pflege zu nutzen, ist es erforderlich die Akademisierung der Pflege in Gesundheitseinrichtungen zu fördern, denn viele Studienergebnisse belegen die Notwendigkeit der interprofessionellen Zusammenarbeit um verbesserte Ergebnisse bei abgestimmten Behandlungsinterventionen im Rahmen der Patientenversorgung zu erzielen.

Literatur bei den Verfasserinnen
Elvira Schneider, M.A.
Städtisches Klinikum Karlsruhe
Geschäftsbereichsleitung Pflegedirektion, Pflegedirektorin, Prokuristin
Moltkestraße 90, 76133 Karlsruhe
2. stellvertretende Vorsitzende, Pflegebündnis TechnologieRegion Karlsruhe
Andrea Roth, MSc.
Krankenschwester und PraxisanleiterIn
Städtisches Klinikum Karlsruhe

©Markus Kümmerle
Artikel veröffentlicht in Ausgabe: KU special StudienführerPlus 2024 – Beruf & Karriere in der Gesundheitswirtschaft Februar 2024
 
 
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